Atlas der seltsamen Häuser und ihrer Bewohner by Niklas Maak

Atlas der seltsamen Häuser und ihrer Bewohner by Niklas Maak

Autor:Niklas Maak [Maak, Niklas]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783446257313
Herausgeber: Carl Hanser Verlag München 2016
veröffentlicht: 2017-03-05T23:00:00+00:00


Italien, Gaeta

IN CY TWOMBLYS BURG

Es war noch warm, als wir Twombly besuchten, der Wind, der aus Afrika wehte und über Hunderte von Kilometern feinen Wüstensand mit sich trieb, dehnte den Sommer in den Winter hinein, und während man sich in Deutschland schon fragte, ob jemand statt der Sonne Fünfundzwanzig-Watt-Birnen in den Himmel hineingeschraubt hatte, flimmerte in Gaeta die Mittagshitze über dem Meer und ließ die Konturen der Berge verschwimmen. Cy Twombly, hatten sie gesagt, wohne dort oben, gleich in dem Haus in der Kurve. Aber das Haus war kein Haus, sondern eine Wand ohne Fenster, mit einer schmalen grauen Blechtür, eher einem Eingangsschlitz. Wir klingelten, und es tat sich nichts. Die Wand stand da, als habe sie sich erschreckt vor dem Eindringling, man hörte den Wind in den Pinien, die Sonne schien auf die aprikosenfarbene Kirche, die früher vielleicht einmal rot gewesen war.

Es war nicht einfach, Cy Twombly zu treffen. Vor vierzehn Jahren, als seine Bilder in München gezeigt wurden, sollte er zur Eröffnung kommen, die Journalisten und die Neugierigen standen in der Rotunde der Pinakothek, nur Twombly tauchte nicht auf; später erfuhr man, dass er sich kurz unerkannt in die Menge gemischt hatte, die vor dem Museum wartete, und dann wieder in sein Hotel gegangen war. Twomblys Zurückgezogenheit war so legendär wie sein Werk. Er schoss zwar nicht wie Hunter S. Thompson auf seine Besucher, aber es kam schon vor, dass er tagelang in die Berge flüchtete, um den Fotografen, die sich angekündigt hatten, zu entkommen.

Eine Viertelstunde verging vor der Blechtür. Dann tat sich etwas. Eine Stimme rief: »Tiger!«. Ein Schloss knirschte. Der Mann, der die sehr kleine Tür von innen öffnete, war ein Rumäne mit sehr großen Händen. Er führte uns durch eine verschachtelte Anlage aus grauen Lehmmauern und Treppchen und Höfen zu einer Pergola. Dort, im Schatten einer Hecke, saß, in blau gestreiftem Hemd und Shorts, Cy Twombly. Der Rumäne hat im richtigen Leben einen sehr komplizierten rumänischen Namen, deswegen nannte Twombly ihn Tiger. Tiger war Butler, Haushaltshilfe und Chauffeur in einem; er brachte den Gästen geeiste Feigen und Wein, er fuhr Twombly, der zwei Geländewagen, aber keinen Führerschein besaß, mit dem Wagen in die Stadt.

Früher lebte Twombly in Rom, aber seit im Keller seines Hauses eine Diskothek eröffnet worden war, verbrachte er die meiste Zeit in Gaeta, in diesem Haus, das ein Haus ist wie ein Kunstwerk von Twombly: labyrinthisch, mit endlosen Gängen, vollgestopft mit Büchern und Kunstwerken und Fundstücken. Früher bestand es aus mehreren kleinen Häusern, die zusammengewachsen sind, jetzt wirkt es wie eine Burg mit mehreren Befestigungsringen. Eigentlich war diese Burg in Gaeta, die so groß und labyrinthisch schien wie eine kleine Stadt mit verwinkelten Gassen, Gängen und Treppen und Winkeln, in denen sich die wildesten und rätselhaftesten Dinge stapelten, ein Ort voller Verweise und Erinnerungen und vager Spuren, vielleicht fühlte er sich deshalb dort so wohl.

Schon 1957, kurz nachdem er aus den Vereinigten Staaten nach Rom gezogen war, fuhr Twombly an diese Küste; hier entstand der berühmte Gemäldezyklus »Poems to the sea«, in



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